Arbeit macht tot. Eine Jugend in Auschwitz by Tibor Wohl

Arbeit macht tot. Eine Jugend in Auschwitz by Tibor Wohl

Autor:Tibor Wohl [Wohl, Tibor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105616154
Herausgeber: FISCHER Digital


14

Lageralltag

Eines Morgens, zu Beginn des Herbstes 1943, verabschiedete uns der gefürchtete Blockälteste Raschke auf dem Appellplatz mit den Worten: »Macht, daß ihr an die Arbeit kommt, ihr Hurengesindel, ihr verkommenes Lumpenpack, ihr Judenstinker! Hoffentlich verrecken heute wieder einige von euch, dann spare ich mir die Arbeit, dann brauch’ ich euch nicht totzuschlagen!« Seine ständigen Worte waren: »Neunundneunzig Juden habe ich schon totgeschlagen, und den hundertsten bringe ich auch noch um.« Das war leider nicht nur eine Redensart, sondern Wirklichkeit.

Ich hörte, wie er zum Kapo Roksa sagte: »Du, tu mir den Gefallen, mach ein paar Juden fertig, dann bleiben mir abends ein paar Brotportionen übrig. Bei dir draußen geht das ja leicht.«

Der Kapo lachte, versprach ihm, sein Möglichstes zu tun. Wir wurden vom Blockführer abgezählt. Die Lagerkapelle erklang. Es war kalt an diesem Morgen. Wir wurden wie eine Herde Vieh zur Arbeit und zum Tode getrieben. Die SS schritt neben uns her, Gewehr im Arm. Wir waren ein Elendshaufen, abgezehrte Männer, die mit sturen Gesichtern geradeaus starrten, sich auf müden Beinen im Gleichschritt hinschleppten, die Eßschale fest an den Körper gepreßt, Männer, die mit Grauen dachten: »Wieder liegt ein Tag vor uns, von dem wir nicht wissen, wie er endet.«

Plötzlich fuhr ein Personenauto mit großer Geschwindigkeit an unserem Kommando vorbei. Die Räder knirschten, das Auto drehte sich zur Seite und stand. Die SS-Posten schrien: »Halt! Alles stehenbleiben!«

Um das Auto herum versammelten sich einige SS-Männer. Jemand lag auf der Straße. Aus dem Wagen stiegen zwei elegant gekleidete Männer mit weißen Kragen und bunten Krawatten. Beide hatten auf dem Rockaufschlag ein Abzeichen mit Hakenkreuz. Sie sahen auf den Mann am Boden. Einer sagte: »Er hat sich vor den Wagen geworfen. Ist er tot?« Diese Frage war an die SS-Männer gerichtet.

Sie standen stramm, und einer erstattete Bericht: »Nein, Herr Oberingenieur, nur verwundet.«

»So ein Schwein«, sagte der Oberingenieur, »sich so vor den Wagen zu werfen, daß es aussieht, als hätte ich ihn totgefahren. Der Hund glaubt wohl, ich kann nicht steuern, was?«

Der Verwundete hob den Kopf. Er blickte benommen um sich. Offenbar konnte er noch nicht recht begreifen, wo er war. Er hatte sich töten lassen wollen, hatte sich vor die Räder des Autos geworfen, und nun lebte er noch. Der Begleiter des Oberingenieurs sagte: »Es kann ihm nicht viel passiert sein, der Kotflügel hat ihn zur Seite geschleudert.«

»Los, schafft ihn fort!« befahl der Oberingenieur. »Wegen so einem Schwein stehen jetzt Hunderte von Häftlingen hier und gaffen, statt zu arbeiten.« Dann schwangen sich beide wieder in den Wagen. Der Selbstmörder stand auf, er taumelte. Der Oberingenieur startete den Motor, beugte sich aus dem Auto und rief den SS-Leuten zu: »Besorgt’s ihm tüchtig, dem Feigling, er hat’s verdient!« Dann fuhr der Wagen fort, im gleichen Tempo, wie er gekommen war.

Die SS-Männer stürzten sich auf den Unglücklichen und bearbeiteten ihn mit Faustschlägen und Fußtritten: »Was, du Hund, mußt du uns auffallen lassen, ausgerechnet vor dem Oberingenieur der IG-Farben, schon am frühen Morgen!« – »Du Mistvieh, du trauriges, hättest du nicht warten können, bis du bei der Arbeit



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